Medizinnobelpreis 1990: Joseph Edward Murray — Edward Donnall Thomas

Medizinnobelpreis 1990: Joseph Edward Murray — Edward Donnall Thomas
Medizinnobelpreis 1990: Joseph Edward Murray — Edward Donnall Thomas
 
Die amerikanischen Mediziner entwickelten die Organ- und Zelltransplantation.
 
 Biografien
 
Joseph Edward Murray, * Milford (USA) 1. 4. 1919; 1946 Promotion in Medizin an der Harvard Medical School in Cambridge (Massachusetts), 1964-86 Chefarzt am Peter Bent Brigham-Hospital in Boston; ab 1970 Professor an der Havard Medical School.
 
Edward Donnall Thomas, * Mart (USA) 15. 3. 1920; 1946 Promotion in Medizin an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts), ab 1955 Professor an verschiedenen Universitätskrankenhäusern, zuletzt an der University of Washington in Seattle.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Die Idee, Organe von einem Menschen auf den anderen zu übertragen, gibt es bereits seit etwa 1900. Der große französische Chirurg Alexis Carrel (Nobelpreis 1912) glaubte jedoch, dass eine unbekannte »biologische Kraft« die erfolgreiche Übertragung von Organen verhindere. Noch gegen Ende der 1940er-Jahre war der englische Anatom Peter Medawar (Nobelpreis 1960), der mit Gewebetransplantaten an Mäuseembryonen experimentiert hatte, ebenfalls der Meinung, dass diese Kraft »für immer die Transplantation von einem Individuum auf das andere verhindern wird«.
 
Doch viele Forscher akzeptierten diesen Standpunkt nicht. Sie versuchten stattdessen, Carrels »biologische Kraft« zu verstehen und zu definieren. In den 1950er- und 1960er-Jahren wurden an den Zelloberflächen spezifische Substanzen, die Transplantationsantigene, entdeckt, die man beim Menschen HLA-Antigene (Humane Leukozyten-Antigene) nennt. Die HLA-Antigene an den Zelloberflächen verpflanzter Organe werden vom Immunsystem des Empfängers als fremd erkannt. Immunologisch aktive Zellen versuchen deshalb, den »Fremdkörper« abzustoßen.
 
Nach einer Übertragung immunologisch aktiver Zellen — zum Beispiel bei der Verpflanzung von Knochenmark — werden die Zellen des Empfängers vom Transplantat als fremd erkannt. Auch diese Abwehrreaktion, die umgekehrt verläuft, da das Knochenmarktransplantat die Zellen des Empfängers als fremd erkennt und »abstößt«, kann sehr gefährlich werden. Solche so genannte »Transplantat-gegen-Wirt«- oder »graft-versus-host«-Reaktionen (GVH-Reaktionen) verursachen die GVHD (Krankheit, disease). Die ersten niederschmetternden Versuche, die Schwierigkeiten zu überwinden, hielten nicht alle Wissenschaftler davon ab, weiter daran zu arbeiten. Murray und Thomas gelang es mit der Entdeckung, dass ionisierende Strahlen und zelltoxische Stoffe das Zellwachstum verhindern, die Aktivität der Immunzellen während der Transplantation zu unterdrücken. John Murray konnte mit seinen Experimenten zeigen, dass eine Ganzkörperbestrahlung das Risiko der Organabstoßung stark herabsetzte. Es gelang ihm sogar eine noch bessere Wirkung mit der zytotoxischen Droge Azathiopin. Donall Thomas erzielte mit Methotrexat, einem weiteren zytotoxischen Wirkstoff, eine deutliche Minderung der GVH-Reaktionen. Mit diesen Entdeckungen war der Weg entgültig frei, Transplantationen von Knochenmarkzellen durchzuführen.
 
 Organe sind das eine
 
Die Organtransplantation ist eine chirurgische Behandlungsmethode. Ein Organ, das einem lebenden oder gerade gestorbenen Spender entnommen wird, muss sofort versorgt und die in den Gefäßen des Organs enthaltenen immunologisch aktiven Zellen müssen herausgewaschen werden. Anschließend wird das Transplantat in den Empfänger verpflanzt; seine Funktion muss angestoßen werden. Darüber hinaus sind immunologische Reaktionen sofort zu unterdrücken. Murray war der Erste, dem es 1954 gelang, eine Niere zwischen eineiigen Zwillingen zu übertragen. 1962 meisterte er dieses Kunststück auch bei genetisch nicht identischen Individuen. Voraussetzung dafür war eine optimale Immunsuppression. Dieser Prozess ist nach Murrays bahnbrechenden Arbeiten weiter verbessert worden. Heute werden jährlich zehntausende von Nieren transplantiert; die Erfolgsquote liegt bei 80 Prozent.
 
 Knochenmark ist anders
 
Um Knochenmarkzellen zu übertragen, sind keine großen chirurgischen Eingriffe notwendig. Die Markzellen werden dem Spender meist aus dem Kamm des Darmbeins entnommen. Nachdem das Knochenmark und die Immunabwehrzellen des Empfängers abgetötet sind, werden die dem Spender entnommenen Knochenmarkzellen wie bei einer Bluttransfusion infundiert. Die Stammzellen bringen in den Knochen wieder Markzellen hervor, die dann wieder Blut- und immunologisch aktive Zellen produzieren. Nach der Transplantation muss für einige Monate eine immunsuppressive Behandlung durchgeführt werden, um GVH-Reaktionen zu verhindern oder zumindest stark herabzusetzen. Die immunologisch aktiven Spenderzellen werden mit der Zeit tolerant, sodass diese Behandlung gewöhnlich zurückgefahren werden kann.
 
Die Übertragung von Knochenmarkzellen bedeutet das kontinuierliche Entstehen normaler Blutzellen. Mit diesem Verfahren ist es deshalb möglich, auch vererbliche schwere Blutkrankheiten zu heilen. Die wichtigsten Indikationen für Knochenmarktransplantationen sind heute die verschiedenen Arten von Leukämie, einer Erkrankung der weißen Blutkörperchen. Bei der chronisch-myeloischen Leukämie (CML) ist die Knochenmarkzell-Transplantation die einzige Möglichkeit, den Patienten zu helfen. Jährlich werden weltweit mehrere tausend Knochenmarktransplantationen vorgenommen. Zuletzt sind auch autologe Knochenmarkzell-Transplantationen in die Therapie eingeführt worden. Bestimmte Krebsarten verlangen sehr hohe Dosen ionisierender Strahlung oder zytotoxischer Drogen als Therapie. Dies kann jedoch zu einer vollständigen Zerstörung des Knochenmarks des Patienten führen. Sind solche massiven Behandlung notwendig, kann dem Patienten zuvor eigenes (autologes) Knochenmark entnommen werden, das nach der Zerstörung der Krebszellen und des Knochenmarks wieder infundiert wird.
 
Joseph Murray wollte von Jugend an Chirurg werden. Sein Interesse an Gewebebiologie und Organtransplantation geht auf Erlebnisse in einem Militärkrankenhaus zurück, an dem plastische Chirurgie betrieben wurde. Da häufig nicht genug autologe Haut zur Verfügung stand, wurde versucht, Brandopfern fremdes Hautgewebe zu übertragen. »Die langsame Abstoßung der fremden Haut faszinierte mich. Wie konnte der Empfänger die fremde Spenderhaut von der eigenen unterscheiden?«, schrieb er. Sein militärischer Vorgesetzter vertrat die These, dass die genetische Verwandschaft eine Rolle bei der Geschwindigkeit der Abstoßung spiele. 1937 hatte er einem eineiigen Zwillingspaar wechselseitig Haut transplantiert. Dies war der Anstoß für Murray, sich dem Thema zu widmen. Er pflegte intensiven Austausch mit Peter Medawar sowie mit George Hitchings und Gertrude Elion (gemeinsam Nobelpreis 1988). Sein Wissensdurst war unersättlich. »Mein einziger Wunsch wäre es, zehn mehr Leben zu haben. Wenn das möglich wäre, würde ich je ein Leben mit Embryologie, Genetik, Physik, Astronomie und Geologie verbringen«.
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

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